Arbeitnehmerähnliche Person im Arbeitsrecht: Alles was Sie wissen müssen.
Arbeitnehmerähnliche Person
Manchmal sind die Grenzen zwischen Selbstständigkeit und Anstellung nicht so klar, wie sie scheinen. Gerade dann, wenn Ihre wirtschaftliche Existenz fast vollständig von einem einzigen Auftraggeber abhängt, können Sie rechtlich als „arbeitnehmerähnliche Person“ gelten. In diesem Beitrag erfahren Sie, was das bedeutet, welche Rechte Ihnen zustehen und was Sie konkret tun können.
Was ist eine arbeitnehmerähnliche Person?
Definition und rechtlicher Hintergrund
Eine arbeitnehmerähnliche Person ist rechtlich gesehen ein Selbstständiger, der wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig ist. Typisch ist die enge Bindung an nur einen oder sehr wenige Auftraggeber. Das deutsche Arbeitsrecht – und in Teilen auch das EU-Recht – schützt solche Personen ähnlich wie Arbeitnehmer. Grundlage hierfür sind unter anderem das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) und das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).
Unterschiede zu Arbeitnehmern und Selbstständigen
Ein Arbeitnehmer unterliegt dem Direktionsrecht seines Arbeitgebers: Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit werden vorgegeben. Selbstständige hingegen handeln frei und unabhängig. Arbeitnehmerähnliche Personen sind selbstständig, aber wirtschaftlich eng an einen Auftraggeber gebunden – quasi „auf dem Papier frei, in der Realität abhängig“.
Abgrenzung zur Scheinselbstständigkeit
Scheinselbstständige sind eigentlich Arbeitnehmer, die fälschlicherweise als Selbstständige geführt werden. Für sie gelten vollumfänglich alle Arbeitnehmerrechte. Arbeitnehmerähnliche Personen hingegen sind tatsächlich selbstständig, aber schutzbedürftig genug, um teilweise dem Arbeitsrecht zu unterfallen.
Typische Problemfelder für arbeitnehmerähnliche Personen
Anspruch auf Urlaub
Arbeitnehmerähnliche Personen haben nach § 2 Satz 2 BUrlG einen Anspruch auf bezahlten Urlaub – genauso wie reguläre Arbeitnehmer. Die Kosten trägt der Auftraggeber. Für freie Mitarbeiter ist dies ein oft unterschätzter Vorteil.
Zugang zu Arbeitsgerichten
Das Arbeitsgerichtsgesetz (§ 5 Abs. 1 ArbGG) öffnet arbeitnehmerähnlichen Personen die Türen zu den Arbeitsgerichten. Bei Streitigkeiten können sie dort auf schnellem und oft kostengünstigem Wege ihre Ansprüche durchsetzen.
Sozialversicherungspflicht und Entgeltfortzahlung
Eine Krux: Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) gilt nicht für arbeitnehmerähnliche Personen. Im Krankheitsfall haben sie keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung. Ebenso sind sie grundsätzlich selbst für ihre Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung verantwortlich – es sei denn, es liegt eine Rentenversicherungspflicht für bestimmte Berufsgruppen (z. B. Künstler) vor.
Fünf Fallbeispiele aus der Praxis
Beispiel 1: Freier IT-Berater in langfristiger Projekttätigkeit
Ein freiberuflicher IT-Berater arbeitet seit über drei Jahren ausschließlich für ein großes Unternehmen. Er erhält Anweisungen zu Projektzielen und wird in die Unternehmensabläufe eingebunden, obwohl er auf dem Papier als freier Mitarbeiter geführt wird. Seine wirtschaftliche Existenz hängt nahezu vollständig von diesem einen Auftraggeber ab.
Gerichtsurteil:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer Entscheidung klargestellt (Urteil vom 30.11.1994 – 5 AZR 205/93), dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit und persönliche Schutzbedürftigkeit – auch bei ansonsten selbstständiger Tätigkeit – zur Annahme einer arbeitnehmerähnlichen Stellung führen können. Entscheidend sei nicht die Bezeichnung im Vertrag, sondern die tatsächliche wirtschaftliche Situation.
Beispiel 2: Handelsvertreter mit nur einem Auftraggeber
Ein Handelsvertreter vertreibt ausschließlich die Produkte eines Unternehmens und erhält eine monatliche Fixvergütung. Andere Auftraggeber hat er nicht. Seine Tätigkeit wird zudem vom Unternehmen weitgehend gesteuert.
Gerichtsurteil:
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte im Urteil vom 21.01.1993 (VII ZR 114/92) fest, dass Handelsvertreter, die faktisch nur für einen Auftraggeber tätig sind und von diesem wirtschaftlich abhängig sind, unter bestimmten Umständen als arbeitnehmerähnliche Personen gelten und insoweit Schutz durch das Arbeitsgerichtsgesetz genießen.
Beispiel 3: Heimarbeiterin im Textilbereich
Eine Heimarbeiterin näht seit Jahren ausschließlich für ein Modeunternehmen und produziert in Heimarbeit Textilwaren, deren Verwertung vollständig bei dem Unternehmen liegt. Sie trägt kein Unternehmerrisiko und ist wirtschaftlich völlig abhängig.
Gerichtsurteil:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im Urteil vom 06.11.2003 (6 AZR 539/02) entschieden, dass Heimarbeiter in Bezug auf bestimmte Schutzvorschriften wie das Bundesurlaubsgesetz Arbeitnehmern gleichgestellt werden und deshalb als arbeitnehmerähnliche Personen behandelt werden müssen.
Beispiel 4: Selbstständiger Fotograf für einen einzigen Verlag
Ein Fotograf arbeitet ausschließlich für einen großen Verlag, übernimmt regelmäßige Aufgaben nach detaillierten Briefings und erhält eine pauschale Monatsvergütung. Eigene Kunden hat er nicht.
Gerichtsurteil:
Das Landesarbeitsgericht München urteilte am 18.12.2006 (7 Sa 726/06), dass ein Fotograf, der wirtschaftlich abhängig von einem einzigen Verlag ist und feste Vorgaben zur Auftragsabwicklung erhält, als arbeitnehmerähnliche Person gelten kann, insbesondere wenn eine feste Honorierung und fehlende unternehmerische Freiheit bestehen.
Beispiel 5: Freelancer in der Medienbranche
Ein freier Journalist schreibt nahezu ausschließlich für eine Tageszeitung. Die Themen werden vorgegeben, und er ist regelmäßig in den internen Redaktionsablauf eingebunden. Obwohl er auf Honorarbasis arbeitet, hängt seine Existenz vom Verlag ab.
Gerichtsurteil:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) urteilte am 19.01.2011 (10 AZR 325/09), dass freie Journalisten, die über lange Zeiträume hinweg ausschließlich für einen Verlag arbeiten und in dessen Redaktionsstrukturen eingebunden sind, als arbeitnehmerähnliche Personen gelten können. Die bloße Form eines freien Mitarbeitervertrags schließe den Schutz nicht aus.
FAQs zu arbeitnehmerähnlichen Personen
Wann gelte ich als arbeitnehmerähnliche Person?
Viele Selbstständige stellen sich die Frage, ob sie wirklich völlig unabhängig arbeiten oder doch einer wirtschaftlichen Abhängigkeit unterliegen, die sie rechtlich in die Nähe eines Arbeitnehmers rückt. Gerade wer langfristig für denselben Auftraggeber tätig ist, sollte seine Situation genau prüfen.
Die genaue Analyse zeigt: Arbeitnehmerähnliche Personen sind formal selbstständig tätig, sie erbringen ihre Leistungen also auf Basis freier Vereinbarungen, Rechnungen und ohne unmittelbare Weisungsgebundenheit. Dennoch zeichnet sich ihre Situation dadurch aus, dass sie wirtschaftlich von einem Auftraggeber abhängig sind, etwa weil sie 80 % oder mehr ihres Umsatzes aus einer einzigen Quelle beziehen.
Rechtlich ergibt sich die Einstufung als arbeitnehmerähnliche Person aus verschiedenen Vorschriften wie § 12a Tarifvertragsgesetz (TVG), § 2 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) oder § 5 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Maßgeblich sind Kriterien wie wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit. Eine formelle Selbstständigkeit steht der rechtlichen Anerkennung als arbeitnehmerähnliche Person nicht entgegen.
Fallbeispiel 1: Ein Grafikdesigner erzielt sein gesamtes Einkommen aus Projekten für ein einziges Marketingunternehmen und hat keine anderen Auftraggeber.
Fallbeispiel 2: Eine Lektorin arbeitet ausschließlich für einen großen Buchverlag und wird regelmäßig in dessen Publikationen eingebunden, obwohl sie freie Rechnungen stellt.
Zusammengefasst: Sie gelten als arbeitnehmerähnliche Person, wenn Ihre Existenz wesentlich vom Auftragsvolumen eines Unternehmens abhängt und Sie deshalb besonderen sozialen Schutz benötigen. Eine genaue Prüfung lohnt sich immer.
Welche Vorteile habe ich als arbeitnehmerähnliche Person?
Es klingt zunächst paradox: Obwohl arbeitnehmerähnliche Personen offiziell selbstständig sind, genießen sie einige Rechte, die sonst nur klassischen Arbeitnehmern vorbehalten sind. Das kann im Ernstfall existenzsichernd sein.
Analysiert man die Vorteile genauer, zeigt sich: Arbeitnehmerähnliche Personen haben unter anderem Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub, können Klagen vor dem Arbeitsgericht einreichen und profitieren teilweise von besonderen Kündigungsregelungen. Sie stehen damit rechtlich besser da als typische Selbstständige, die keinerlei gesetzlichen Arbeitnehmerschutz genießen.
Rechtlich basieren diese Vorteile auf der analogen Anwendung wichtiger arbeitsrechtlicher Schutzgesetze. Beispielsweise gewährt § 2 Satz 2 BUrlG auch arbeitnehmerähnlichen Personen einen Anspruch auf vier Wochen bezahlten Urlaub. Und nach § 5 Abs. 1 ArbGG können Streitigkeiten unkompliziert vor den Arbeitsgerichten ausgetragen werden, was Zeit und Kosten spart.
Fallbeispiel 1: Ein Redakteur, der als freier Mitarbeiter ausschließlich für ein Nachrichtenmagazin arbeitet, macht erfolgreich seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub geltend.
Fallbeispiel 2: Eine Übersetzerin klagt ihre ausstehende Vergütung vor dem Arbeitsgericht ein und wird dort als arbeitnehmerähnliche Person anerkannt.
Kurz gesagt: Arbeitnehmerähnliche Personen profitieren besonders von Rechtsansprüchen auf Urlaub und einfachem Rechtsschutz. Sie sind damit besser abgesichert als rein selbstständige Auftragnehmer.
Muss ich als arbeitnehmerähnliche Person Sozialabgaben zahlen?
Auf den ersten Blick scheint die Sache klar: Wer selbstständig ist, zahlt seine Sozialabgaben selbst. Doch bei arbeitnehmerähnlichen Personen kann es durchaus komplizierter werden, besonders im Bereich der Rentenversicherung.
Wenn Sie wirtschaftlich abhängig sind, ändert sich Ihre Stellung zur Sozialversicherung nur eingeschränkt. Zwar bleibt die Krankenversicherungspflicht privat oder freiwillig gesetzlich bestehen. In der Rentenversicherung allerdings kann eine Versicherungspflicht eintreten, insbesondere nach § 2 Nr. 9 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für arbeitnehmerähnlich Selbstständige. Wer überwiegend nur für einen Auftraggeber tätig ist, muss sich oft rentenversichern – auf eigene Kosten.
Das bedeutet im rechtlichen Sinne: Arbeitnehmerähnliche Personen sind keine Arbeitnehmer im Sinne der Pflichtversicherung in allen Zweigen der Sozialversicherung, können aber je nach Tätigkeit dennoch versicherungspflichtig werden, insbesondere bei lang andauernder einseitiger Auftraggeberbindung.
Fallbeispiel 1: Ein selbstständiger Softwareentwickler, der seit Jahren ausschließlich Projekte für eine Bank umsetzt, wird zur Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtet.
Fallbeispiel 2: Eine allein für eine Stiftung tätige freie Journalistin erhält den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung, dass sie als arbeitnehmerähnliche Person rentenversicherungspflichtig ist.
Fazit: Auch als arbeitnehmerähnliche Person tragen Sie die Hauptlast der Sozialversicherung selbst. Besonders bei der Rentenversicherung sollten Sie Ihre Pflicht genau prüfen und Rücklagen einplanen.
Kann ich als arbeitnehmerähnliche Person gekündigt werden?
Viele arbeitnehmerähnliche Personen wiegen sich in falscher Sicherheit: Sie glauben, als freie Mitarbeiter völlig unabhängig von Kündigungsfragen zu sein. In Wahrheit kann das Ende einer Zusammenarbeit oft überraschend kommen.
Eine Analyse zeigt: Die Beendigung eines Dienstverhältnisses mit einer arbeitnehmerähnlichen Person erfolgt durch Kündigung oder Vertragsauflösung. Allerdings gelten hier – je nach Vertragsgestaltung – Schutzmechanismen wie vertraglich vereinbarte Kündigungsfristen. Zudem kann die plötzliche Beendigung als sittenwidrig oder treuwidrig eingestuft werden, wenn besondere Schutzbedürftigkeit besteht.
Rechtlich greifen hierbei die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts (§§ 611, 626 BGB) sowie analog arbeitsrechtliche Wertungen. Ein „Kündigungsschutz“ wie bei Arbeitnehmern nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) besteht in der Regel nicht, aber Verträge oder die Rechtsprechung zum sozial schutzwürdigen Auftragnehmerstatus können Einfluss nehmen.
Fallbeispiel 1: Eine Texterin, die acht Jahre nur für einen Verlag gearbeitet hat, wird kurzfristig ohne Frist abbestellt und klagt erfolgreich auf Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist.
Fallbeispiel 2: Ein freier Berater im IT-Bereich, der 90 % seines Einkommens bei einem Auftraggeber erzielt hat, bekommt eine fristlose Kündigung. Das Gericht erkennt an, dass eine ordentliche Kündigungsfrist hätte eingehalten werden müssen.
Zusammengefasst: Kündigungen sind bei arbeitnehmerähnlichen Personen möglich, aber nicht willkürlich. Vertragliche Regelungen und die Grundsätze von Treu und Glauben bieten oft wirksamen Schutz.
Wie setze ich meine Rechte als arbeitnehmerähnliche Person durch?
Rechte zu haben ist das eine, sie durchzusetzen oft eine ganz andere Herausforderung. Gerade arbeitnehmerähnliche Personen scheuen den Weg zum Gericht – aus Angst vor Auftragsverlust oder hohen Kosten. Doch es gibt effektive Wege, sich zu wehren.
Bei der Durchsetzung Ihrer Rechte kommt es zunächst darauf an, den Status als arbeitnehmerähnliche Person klar zu belegen. Hierzu dienen Rechnungen, E-Mail-Verkehr, Verträge und Zeugenaussagen. Im nächsten Schritt können Ansprüche wie Urlaubsgeld, Vergütung oder Kündigungsentschädigungen vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht werden.
Rechtlich wird die arbeitnehmerähnliche Person durch § 5 Abs. 1 ArbGG geschützt: Sie kann, wie ein Arbeitnehmer, den schnellen und kostengünstigen Weg zum Arbeitsgericht nutzen. Klagen auf Urlaub, Zahlung von Honoraren oder Schadenersatz sind damit gut abgesichert und oft mit geringem Kostenrisiko verbunden.
Fallbeispiel 1: Ein freier Social-Media-Manager klagt nach der einseitigen Beendigung der Zusammenarbeit erfolgreich auf Urlaubsgeld und bekommt zusätzlich eine Ausgleichszahlung.
Fallbeispiel 2: Eine freie Moderatorin verklagt ihren langjährigen Auftraggeber wegen verweigerter Zahlungen und setzt ihre Ansprüche in nur zwei Verhandlungen durch.
Fazit
Arbeitnehmerähnliche Personen bewegen sich in einem rechtlichen Zwischenbereich: selbstständig, aber schutzwürdig. Wer sich frühzeitig beraten lässt, kann seine Ansprüche wahren und Risiken vermeiden. Sollten Sie unsicher sein, ob Sie eine arbeitnehmerähnliche Person sind, helfen wir Ihnen gerne weiter.