Arbeitszeitbetrug im Homeoffice: Was Führungskräfte wissen müssen

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Auf Social Media feiern Hunderttausende unter Hashtags wie #arbeitszeitbetrug die kreativsten Methoden, bezahlt zu werden, ohne zu arbeiten – vom Mittagsschlaf im Homeoffice bis zum erfundenen Außentermin. Was als harmloser Witz erscheint, kann für Beschäftigte ernste Konsequenzen haben: Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt bestätigt, dass bereits wenige Minuten vorsätzlicher Zeitmanipulation zur fristlosen Kündigung führen können.

Für Sie als Führungskraft mit Personalverantwortung stellt sich die Frage: Wie gehen Sie mit diesem Thema um – zwischen Vertrauenskultur und berechtigten Kontrollinteressen? Dieser Beitrag gibt Ihnen einen fundierten Überblick über die aktuelle Rechtslage, zeigt zulässige Handlungsoptionen auf und hilft Ihnen, typische Fehler zu vermeiden.

Kurz & Knapp

  • Vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug rechtfertigt nach ständiger BAG-Rechtsprechung die fristlose Kündigung – auch ohne vorherige Abmahnung und unabhängig von der Betriebszugehörigkeit.
  • Im Homeoffice bewerten Gerichte Verstöße oft strenger, weil das Arbeitsverhältnis hier besonders auf Vertrauen basiert.
  • Zulässige Kontrollen umfassen Login-Zeiten, Erreichbarkeitsprüfungen und bei konkretem Verdacht auch Detektiveinsätze – Keylogger und permanente Webcam-Überwachung sind hingegen verboten.
  • Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist eine materielle Ausschlussfrist: Wird sie versäumt, ist die fristlose Kündigung unwirksam.
  • Das Nachtatverhalten des Beschäftigten – Einsicht oder Leugnen – spielt bei der Interessenabwägung eine erhebliche Rolle.

Wann liegt Arbeitszeitbetrug im Homeoffice oder bei mobiler Arbeit vor?

Arbeitszeitbetrug beginnt dort, wo die dokumentierte Arbeitszeit vorsätzlich von der tatsächlich geleisteten abweicht. Das kann passieren, wenn jemand Pausen nicht einträgt, Arbeitsbeginn oder -ende falsch dokumentiert oder während der gebuchten Arbeitszeit systematisch privaten Tätigkeiten nachgeht. Entscheidend ist die Absicht: Wer bewusst täuscht, begeht Arbeitszeitbetrug – wer versehentlich eine Pause vergisst einzutragen, handelt fahrlässig.

Die Abgrenzung zur Bagatelle ist wichtig: Ein kurzer Kaffeeplausch im Büro oder das Holen eines Glases Wasser gelten als sozialadäquat und dienen der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Das Aufhängen der Wäsche, ein ausgedehnter Einkauf oder private Telefonate während der Arbeitszeit fallen hingegen nicht darunter – auch wenn es nur wenige Minuten sind.

Warum bewerten Gerichte Verstöße im Homeoffice strenger?

Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass Homeoffice-Arbeit in besonderem Maße auf Vertrauen basiert. Der Arbeitgeber verzichtet bewusst auf die Kontrollmöglichkeiten, die im Betrieb bestehen. Wer dieses Vertrauen missbraucht, begeht daher einen schwereren Vertrauensbruch als bei vergleichbaren Verstößen im Büro. Diese Wertung fließt in die Interessenabwägung ein und kann den Ausschlag zugunsten einer fristlosen Kündigung geben.

Welche Konsequenzen drohen bei Arbeitszeitbetrug?

Vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug stellt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar, der grundsätzlich zur fristlosen Kündigung berechtigt. Das gilt auch ohne vorherige Abmahnung, wenn der Verstoß so schwerwiegend ist, dass der Beschäftigte von vornherein wissen musste, dass sein Verhalten nicht toleriert wird.

Die Rechtsprechung der letzten Jahre zeigt eine klare Tendenz: Gerichte entscheiden bei nachgewiesenem vorsätzlichem Arbeitszeitbetrug konsequent zugunsten des Arbeitgebers. Das LAG Köln bestätigte im Februar 2025 nicht nur die fristlose Kündigung eines Kontrolleurs, der 26 Stunden nicht gearbeitet hatte, sondern verurteilte ihn auch zur Erstattung von über 21.000 Euro Detektivkosten.

Welche Rolle spielt das Verhalten nach der Entdeckung?

Das sogenannte Nachtatverhalten ist ein wesentlicher Faktor bei der Interessenabwägung. Wer einen Fehler einräumt und sich entschuldigt, zeigt Einsicht – das kann vor Gericht mildernd wirken. Wer hingegen beharrlich leugnet, obwohl Beweise vorliegen, verschlechtert seine Position erheblich. Das LAG Hamm hat 2023 entschieden, dass selbst eine objektiv geringfügige Pflichtverletzung – zehn Minuten Kaffeepause ohne Ausstempeln – zur fristlosen Kündigung führen kann, wenn der Beschäftigte anschließend die Unwahrheit sagt.

Welche Kontrollmöglichkeiten haben Arbeitgeber?

Die Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Überwachungsmaßnahmen ist für Führungskräfte essentiell. Grundsätzlich zulässig sind die Auswertung von Login- und Logout-Zeiten aus Zeiterfassungssystemen, stichprobenartige Erreichbarkeitsprüfungen durch Anrufe, die Kontrolle von Arbeitsergebnissen und Systemaktivitäten sowie bei konkretem Verdacht die Beauftragung von Privatdetektiven für Beobachtungen im öffentlichen Raum.

Wo liegen die rechtlichen Grenzen der Überwachung?

Das Bundesarbeitsgericht hat im wegweisenden Keylogger-Urteil vom 27. Juli 2017 (Az. 2 AZR 681/16) klargestellt, dass die anlasslose Installation von Überwachungssoftware, die sämtliche Tastatureingaben aufzeichnet, unverhältnismäßig in die informationelle Selbstbestimmung des Beschäftigten eingreift. Damit gewonnene Beweise unterliegen einem Beweisverwertungsverbot und können eine Kündigung nicht rechtfertigen.

Kategorisch unzulässig bleiben daher: Keylogger ohne konkreten Verdacht auf eine Straftat, permanente Webcam-Überwachung im Homeoffice, heimliches Abhören von Gesprächen (strafbar nach § 201 StGB), jede Form der Totalüberwachung sowie das Installieren von Überwachungssoftware auf Privatgeräten.

Wann dürfen Detektive eingesetzt werden?

Der Einsatz von Privatdetektiven ist bei konkretem Tatverdacht grundsätzlich zulässig, wenn mildere Mittel nicht ausreichen. Das LAG Köln hat 2025 bestätigt, dass auch GPS-Tracking am Dienstfahrzeug bei erheblichem Verdacht auf Arbeitszeitbetrug verhältnismäßig sein kann. Entscheidend ist, dass ein konkreter Verdacht auf objektiver Tatsachengrundlage besteht – Kontrollen ins Blaue hinein sind hingegen unzulässig.

Wie sollten Führungskräfte bei Verdacht vorgehen?

Bei Verdacht auf Arbeitszeitbetrug empfiehlt sich ein strukturiertes, abgestuftes Vorgehen. Wichtig ist, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB im Blick zu behalten: Sie beginnt mit Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen und ist eine materielle Ausschlussfrist. Wird sie versäumt, ist die fristlose Kündigung unwirksam.

Empfohlenes Eskalationsmodell

  1. Dokumentation: Bei ersten Auffälligkeiten – dauerhaft nicht erreichbar, auffällig wenig Arbeitsergebnisse, Hinweise aus dem Team – zunächst sachlich dokumentieren.
  2. Klärendes Gespräch: Bei unklarer Sachlage zunächst das Gespräch suchen und dem Beschäftigten Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
  3. Beweissicherung: Bei Verdachtsverdichtung rechtmäßige Beweismittel sichern – Login-Daten, Systemlogs, ggf. Detektiv bei konkretem Verdacht.
  4. Anhörung: Vor einer Verdachtskündigung ist eine ordnungsgemäße Anhörung des Beschäftigten mit angemessener Vorbereitungszeit erforderlich.
  5. Entscheidung: Je nach Schwere: Ermahnung, Abmahnung, ordentliche oder fristlose Kündigung – stets unter Beachtung der Fristenregeln.

Was zeigen aktuelle Studien über das Ausmaß des Problems?

Die TimO-Studie vom November 2024 mit über 1.000 befragten Arbeitnehmern zeigt: 72 Prozent haben während der Arbeitszeit bereits private Angelegenheiten erledigt, bei Homeoffice-Beschäftigten sind es sogar 82 Prozent. Die Generation Z fällt besonders auf – 20 Prozent der unter 30-Jährigen geben an, oft oder sehr oft private Dinge während der Arbeit zu erledigen.

Der Hauptgrund ist interessanterweise ein wahrgenommenes Ungleichgewicht: 32 Prozent der Befragten nennen unbezahlte Überstunden als Ausgleichsmotiv. Der Gallup Engagement Index 2024 offenbart zudem eine tiefgreifende Vertrauenskrise: Nur noch 9 Prozent der deutschen Arbeitnehmer weisen eine hohe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber auf – ein historischer Tiefstand.

Prävention: Wie lässt sich Arbeitszeitbetrug vermeiden?

Die nachhaltigste Prävention gegen Arbeitszeitbetrug liegt nicht in verschärfter Kontrolle, sondern in einer Unternehmenskultur, die auf Vertrauen, klaren Erwartungen und wahrgenommener Fairness basiert. Dennoch sind strukturelle Maßnahmen wichtig:

  • Klare Regelungen: Transparente Vorgaben zu Zeiterfassung und Erreichbarkeit in Arbeitsverträgen und Betriebsvereinbarungen verankern.
  • Zeiterfassungspflicht umsetzen: Seit dem BAG-Beschluss vom 13. September 2022 sind Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet – nutzen Sie dies als Chance für faire Transparenz.
  • Erwartungen kommunizieren: Machen Sie deutlich, was im Homeoffice erlaubt ist und was nicht – ohne Misstrauen zu säen.
  • Ergebnisorientierung stärken: Wo möglich, Fokus auf Arbeitsergebnisse statt auf Anwesenheitszeiten legen.
  • Führungsqualität verbessern: Regelmäßige Gespräche, Wertschätzung und angemessene Arbeitsbelastung reduzieren die Motivation zum Betrug.

Arbeitszeitbetrug ist kein Kavaliersdelikt – die Rechtsprechung ist hier eindeutig. Gleichzeitig zeigen die aktuellen Studien, dass verschärfte Kontrollen allein das Problem nicht lösen werden. Für Führungskräfte liegt die Herausforderung darin, die Balance zwischen berechtigten Kontrollinteressen und einer vertrauensbasierten Zusammenarbeit zu finden.

Wenn es dennoch zu Verdachtsmomenten kommt, ist ein strukturiertes Vorgehen entscheidend: rechtmäßige Beweissicherung, ordnungsgemäße Anhörung und Beachtung der Fristenregeln. So schaffen Sie die Grundlage für rechtssichere Entscheidungen – und signalisieren gleichzeitig, dass Fairness keine Einbahnstraße ist.

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