Recht und Gerechtigkeit im Arbeitsverhältnis: Urteil zu Personalvermittlungsprovision
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juni 2023 behandelt eine zentrale Frage der Arbeitnehmerrechte, indem es eine arbeitsvertragliche Regelung prüft, die den Arbeitnehmer zur Erstattung einer Personalvermittlungsprovision verpflichtet, wenn das Arbeitsverhältnis vor einer bestimmten Frist endet.
In diesem speziellen Fall hatte die Beklagte eine Vermittlungsprovision in Höhe von 4.461,60 Euro an einen Personaldienstleister gezahlt, um den Kläger einzustellen. Der Vertrag enthielt eine Klausel, die besagte, dass der Arbeitnehmer, wenn er das Arbeitsverhältnis vor dem 30. Juni 2022 beendet, die Vermittlungsprovision zurückerstatten müsse. Als der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2021 kündigte, behielt die Beklagte einen Teil seiner Vergütung ein.
Wer muss die Personalvermittlungsprovision bezahlen?
Die Auseinandersetzung umfasste zwei zentrale Fragen. Einerseits ging es um die Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Regelung und andererseits um die angemessene Ausübung der Arbeitnehmerrechte. Der Kläger argumentierte, dass die Regelung ihn unangemessen benachteilige, während die Beklagte darauf bestand, dass sie ein berechtigtes Interesse daran habe, die Provision nur dann endgültig zu zahlen, wenn der Kläger bis zum Ablauf der vereinbarten Frist für sie gearbeitet habe.
Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und erklärte die Regelung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB für unwirksam. Die Klausel wurde als kontrollfähige Einmalbedingung im Sinne des § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB eingestuft, die den Kläger unangemessen benachteiligte. Das Gericht argumentierte, dass der Arbeitgeber grundsätzlich das unternehmerische Risiko für finanzielle Aufwendungen in der Personalbeschaffung zu tragen habe und dass der Kläger kein Interesse daran habe, diese Kosten zu übernehmen.
Relevanz und Auswirkungen
Dieses Urteil hat eine starke Signalwirkung für Arbeitsvertragspraktiken in Deutschland. Es unterstreicht die Rolle des Gesetzes als Schutz für Arbeitnehmer vor ungerechten Bedingungen und stärkt ihre Rechte, indem es sie vor unangemessener finanzieller Belastung schützt. Das Gericht hat klar gestellt, dass Arbeitgeber die unternehmerischen Risiken tragen müssen, die mit der Einstellung neuer Mitarbeiter verbunden sind, und diese nicht auf den Arbeitnehmer abwälzen können.
Kurz und Knapp
Das Urteil vom 20. Juni 2023 setzt einen wichtigen Präzedenzfall für die Rechte der Arbeitnehmer in Deutschland. Es lehnt unfaire arbeitsvertragliche Klauseln ab, die Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen könnten, und bekräftigt die Verpflichtung der Arbeitgeber, die Kosten und Risiken der Personalbeschaffung zu tragen. Dies ist ein ermutigendes Zeichen für die Arbeitnehmer und ein deutliches Signal an die Arbeitgeber, ihre Praktiken entsprechend anzupassen.
Hier die Pressemitteilung des BAG im Wortlaut:
20.06.2023 – Pressemitteilung 29/23 – Keine Erstattung einer Personalvermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer
Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber eine von ihm für das Zustandekommen des Arbeitsvertrags an einen Dritten gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB* unwirksam.
Die Parteien schlossen Ende März 2021 einen Arbeitsvertrag, auf dessen Grundlage der Kläger ab dem 1. Mai 2021 bei der Beklagten tätig wurde. Der Vertrag kam durch Vermittlung eines Personaldienstleisters zustande. Die Beklagte zahlte an diesen eine Vermittlungsprovision iHv. 4.461,60 Euro. Weitere 2.230,80 Euro sollten nach Ablauf der – im Arbeitsvertrag vereinbarten – sechsmonatigen Probezeit fällig sein. Nach § 13 des Arbeitsvertrags war der Kläger verpflichtet, der Beklagten die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über den 30. Juni 2022 hinaus fortbestehen und unter anderem – aus vom Kläger „zu vertretenden Gründen“ von ihm selbst beendet werden würde. Nachdem der Kläger sein Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30. Juni 2021 gekündigt hatte, behielt die Beklagte – unter Verweis auf § 13 des Arbeitsvertrags – von der für den Monat Juni 2021 abgerechneten Vergütung des Klägers einen Teilbetrag iHv. 809,21 Euro netto ein.
Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für die Revision von Interesse – die Zahlung dieses Betrags verlangt. Er hat geltend gemacht, die Regelung in § 13 seines Arbeitsvertrags sei unwirksam, weil sie ihn unangemessen benachteilige. Die Beklagte hat im Weg der Widerklage die Erstattung restlicher Vermittlungsprovision iHv. 3.652,39 Euro erstrebt. Sie hat die Auffassung vertreten, die vertragliche Regelung sei wirksam. Sie habe ein berechtigtes Interesse, die für die Vermittlung des Klägers gezahlte Provision nur dann endgültig aufzubringen, wenn er bis zum Ablauf der vereinbarten Frist für sie tätig gewesen sei.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Die genannte Regelung in § 13 des Arbeitsvertrags – bei der es sich um eine kontrollfähige Einmalbedingung iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB** handelt – benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist daher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB* unwirksam. Der Kläger wird hierdurch in seinem von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes beeinträchtigt, ohne dass dies durch begründete Interessen der Beklagten gerechtfertigt wäre. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht „lohnen“, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es besteht deshalb kein billigenswertes Interesse der Beklagten, solche Kosten auf den Kläger zu übertragen. Der Kläger erhält auch keinen Vorteil, der die Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit ausgleichen könnte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juni 2023 – 1 AZR 265/22 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 12. Mai 2022 – 4 Sa 3/22 –
*§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB lautet:
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
**§ 310 Abs. 3 BGB bestimmt:
Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (Verbraucherverträge) finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit folgenden Maßgaben Anwendung:
…
2. § 305c Abs. 2 und die §§ 306 und 307 bis 309 dieses Gesetzes sowie Artikel 46b des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche finden auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte; …
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