Diese Entscheidung, ausgesprochen vom Bundesarbeitsgericht am 31. Mai 2023, stellt eine erhebliche Klarstellung in Bezug auf die Behandlung von Sachbezügen, insbesondere der Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung, im Rahmen von Pfändungsgrenzen dar. Diese wichtige Frage hat weitreichende Auswirkungen auf Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Pfändungsgläubiger und war bislang in der Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt.
Die Relevanz dieser Entscheidung liegt darin, dass sie eine deutliche Linie zwischen dem Wert des Sachbezugs, hier der private Nutzung des Dienstwagens, und dem steuerlich zu berücksichtigenden geldwerten Vorteil für die Nutzung des PKW auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb zieht. Die Überlassung eines dienstlichen PKW zur privaten Nutzung stellt eine Naturalleistung dar, die nach der Entscheidung zur Berechnung des pfändbaren Einkommens hinzugezählt wird. Der geldwerte Vorteil für die Nutzung des Fahrzeugs auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb wird hingegen nicht in diese Berechnung einbezogen.
Gehört der Dienstwagen zum Pfändbaren einkommen?
Diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung, da sie bestimmt, welche Teile des Einkommens eines Arbeitnehmers für die Pfändung zur Verfügung stehen. Es ist ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem Schutz des Arbeitnehmers, der einen Teil seines Einkommens behalten muss, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, und den Interessen der Gläubiger, die ihre Forderungen einholen möchten.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat auch bedeutende Auswirkungen auf die Praxis der Gehaltsabrechnung und die Auslegung von Arbeitsverträgen. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass sie die unterschiedliche Behandlung von Sachbezügen und geldwerten Vorteilen korrekt berücksichtigen. Arbeitnehmer, insbesondere solche mit höheren Schuldenlasten, müssen sich bewusst sein, dass die private Nutzung eines Dienstwagens ihr pfändbares Einkommen erhöht.
Insgesamt ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts klar und gut begründet. Sie stellt eine wichtige Klarstellung des Rechts dar und bietet eine wertvolle Orientierungshilfe für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Gläubiger. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sie in der Praxis umgesetzt wird und welche Auswirkungen sie auf die Arbeitsbeziehungen und die Gehaltsstrukturen in Deutschland hat. Es könnte auch interessant sein, zu beobachten, ob und wie der Gesetzgeber auf diese Entscheidung reagiert.
Hier die Pressemitteilung des BAG im Wortlaut:
31.05.2023 – Pressemittelung Nr. 26/23 – Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung – Pfändungsfreibetrag
Die vereinbarte Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung ist regelmäßig eine Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung und damit ein Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO*. Der Wert dieses Sachbezugs beläuft sich grundsätzlich auf 1 % des Listenpreises des PKW zzgl. Sonderausstattungen und Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Erstzulassung. Nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO darf dieser Wert allerdings nicht die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts übersteigen. Der unpfändbare Betrag des Entgelts muss dem Arbeitnehmer in Geld ausgezahlt werden. Zur Ermittlung des pfändbaren Teils des Einkommens sind Geld- und Sachleistungen nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften zusammenzurechnen. Nicht einbezogen wird dabei der steuerlich zu berücksichtigende geldwerte Vorteil für die Nutzung des PKW auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb in Höhe von monatlich 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer (sog. 0,03 %-Regelung).
Der verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten in der Marketing-Abteilung beschäftigt. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses hat die Beklagte ihm anstelle einer Entgelterhöhung einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung überlassen. Die Entgeltabrechnungen des Klägers weisen neben dem Bruttomonatsgehalt (zuletzt 4.285,00 Euro) geldwerte Vorteile für die PKW-Nutzung (445,00 Euro) und die Entfernungskilometer (747,60 Euro) zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (56 km) aus. Aus der Summe dieser drei Beträge hat die Beklagte nach Abzug von Steuern und Sozialversicherung das Nettoentgelt und nach weiterem Abzug der beiden geldwerten Vorteile den Auszahlungsbetrag errechnet.
Mit seiner Klage hat der Kläger – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – Vergütungsdifferenzen im Nettoentgelt iHv. 29.639,14 Euro für die Zeit von Januar 2017 bis April 2020 verlangt. Er hat geltend gemacht, bei Zahlung der Vergütung, die neben Geld auch den Sachbezug der Privatnutzungsmöglichkeit des PKW umfasse, seien die Pfändungsgrenzen, die sich aus drei Unterhaltspflichten ergäben, nicht beachtet worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung der geforderten Nettovergütungsdifferenzen verurteilt.
Die hiergegen gerichtete, vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Beklagten hatte vor dem Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Das Berufungsgericht hat bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens iSv. § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO zu Unrecht den nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG** zu bemessenden Wert für die Nutzung des überlassenen Fahrzeugs für den Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte einbezogen. Zur Berechnung des pfändbaren Einkommens sind nach § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO*** Geld- und Naturalleistungen zusammenzurechnen. Zu Letzteren gehört die Überlassung eines dienstlichen PKW zur privaten Nutzung. Der Wert beträgt 1 % des Listenpreises. Keine Naturalleistung iSd. vollstreckungsrechtlichen Bestimmung stellt der nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG anzusetzende geldwerte Vorteil für die Nutzung des Fahrzeugs auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb in Höhe von monatlich 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer dar. Hierbei handelt es sich nicht um einen Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO, sondern um einen steuerrechtlich relevanten Korrekturposten für den pauschalen Werbungskostenabzug. Er ist daher bei der Berechnung des pfändbaren Einkommens nach § 850e Nr. 3 Satz 1 ZPO nicht einzubeziehen. Von dem – somit niedriger als vom Landesarbeitsgericht angenommen – anzusetzenden Betrag sind gem. § 850e Nr. 1 ZPO Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Abzug zu bringen. Aus dem so ermittelten pfändbaren Einkommen sind sodann nach Maßgabe von § 850c ZPO und der einschlägigen Pfändungsfreigrenzenbekanntmachungen die Pfändungsgrenzen zu ermitteln. Dabei ist Abs. 6 dieser Regelung, wonach nach billigem Ermessen Einkünfte der unterhaltsberechtigten Person (hier des Ehegatten) ganz oder teilweise berücksichtigt werden können, entsprechend anzuwenden. Nachdem das Landesarbeitsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat und auch die für die Berechnung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge erforderlichen Tatsachen vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind, war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Mai 2023 – 5 AZR 273/22 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. Februar 2022 – 9 Sa 407/21 –
*§ 107 Abs. 2 GewO lautet:
…
„(2) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbaren, wenn dies dem Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer keine Waren auf Kredit überlassen. Er darf ihm nach Vereinbarung Waren in Anrechnung auf das Arbeitsentgelt überlassen, wenn die Anrechnung zu den durchschnittlichen Selbstkosten erfolgt. Die geleisteten Gegenstände müssen mittlerer Art und Güte sein, soweit nicht ausdrücklich eine andere Vereinbarung getroffen worden ist. Der Wert der vereinbarten Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt darf die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen.“
**§ 8 Abs. 2 Satz 3 EStG lautet:
„Kann das Kraftfahrzeug auch für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sowie Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3 genutzt werden, erhöht sich der Wert in Satz 2 für jeden Kalendermonat um 0,03 Prozent des Listenpreises im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 4 Satz 2 für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeits-stätte sowie der Fahrten nach § 9 Absatz 1 Satz 3 Nummer 4a Satz 3.“
***§ 850e Nr. 1 und Nr. 3 ZPO lautet:
„Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens gilt Folgendes:
1. Nicht mitzurechnen sind die nach § 850a der Pfändung entzogenen Bezüge, ferner Beträge, die unmittelbar auf Grund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind.
…
3. Erhält der Schuldner neben seinem in Geld zahlbaren Einkommen auch Naturalleistungen, so sind Geld- und Naturalleistungen zusammenzurechnen. …“
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