Die zunehmende Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) am Arbeitsplatz eröffnet Unternehmen neue Möglichkeiten, gleichzeitig wirft sie wichtige arbeitsrechtliche Fragen auf. KI-Systeme können etwa Arbeitszeiten per Software erfassen, Kommunikationsdaten analysieren oder per Kamera Emotionen auswerten – und damit tief in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten eingreifen. Dies macht KI in der Mitarbeiterüberwachung zu einem arbeitsrechtlichen Thema, bei dem der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte hat. Vor diesem Hintergrund müssen Betriebsräte und Arbeitgeber genau klären, wann ein KI-System als „technische Einrichtung“ zur Leistungs- oder Verhaltenskontrolle gilt und daher der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.
§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG – Umfang des Mitbestimmungsrechts
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Gesetz zielt darauf ab, die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten zu schützen. Technische Vorrichtungen müssen also geeignet sein, automatisch Daten über Verhalten oder Leistung der Beschäftigten zu erheben und zu verarbeiten. Das können etwa Sensoren, Software-Tools oder KI-Systeme sein.
Die Rechtsprechung erläutert: Die Überwachungseinrichtung muss selbständig Daten sammeln und speichern, damit Informationen über einzelne Arbeitnehmer auch später abrufbar sind. Schon die Auswertung manuell erhobener Daten durch eine Software fällt darunter. Entscheidend ist dabei nicht die Motivation des Arbeitgebers, sondern allein die technische Eignung der Einrichtung, Leistungs- oder Verhaltensinformationen zu erzeugen. Der Mitbestimmungszweck ist der Präventionsschutz – der Betriebsrat kann in Verhandlungen Grenzen und Bedingungen festlegen, um eine unverhältnismäßige Überwachung zu vermeiden.
Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts
Drei Kernelemente müssen erfüllt sein: (1) Technische Einrichtung: Das System muss ein Gerät oder eine Software sein, die optisch, mechanisch, akustisch oder elektronisch arbeitet. (2) Überwachungszweck: Die Anlage muss namentlich darauf gerichtet sein, Verhalten oder Leistung der Mitarbeiter zu erfassen. (3) Personenbezug: Die erfassten Daten müssen sich auf konkrete Beschäftigte beziehen. Ergeben die Daten ein individuelles Leistungs- oder Verhaltensprofil, liegt Personenbezug vor. Nur dann fällt das System in den Kreis des § 87 Abs. 1 Nr. 6. Es gilt: Je spezifischer und dauerhaft die Überwachung, desto eher ist sie mitbestimmungspflichtig.
Anwendungsbeispiele aus der Praxis
KI-basierte Systeme können vielfältige Formen annehmen. Folgende Beispiele aus Unternehmen verdeutlichen typische Fälle:
- KI-gestützte Zeiterfassung: Moderne Zeiterfassungssysteme erfassen Arbeitsbeginn, Pausen und Ende sekundengenau. Wird ein KI-System eingesetzt, das daraus individuelle Leistungsprofile erstellt (z.B. wer wie lange an welchen Aufgaben arbeitet), löst dies das Mitbestimmungsrecht aus. Ein solche minutengenaue Protokollierung führt zu umfassenden Datensammlungen über einzelne Mitarbeiter – hier ist zwingend der Betriebsrat zu beteiligen.
- Chat- und Mail-Analyse: KI-Tools können Mitarbeiterkommunikation (Chat-Logs, E-Mail-Text) automatisch auswerten („Sentiment Analysis“). Erkennt das System beispielsweise Stimmungen oder Schlüsselwörter in Nachrichten, um Rückschlüsse auf die Mitarbeitenden zu ziehen (Leistungsdruck, Unzufriedenheit etc.), greift ebenfalls § 87 Abs. 1 Nr. 6 ein. In der Praxis gibt es bereits Anbieter wie das US-Startup Aware, das Großunternehmen ermöglicht, Mitarbeitergespräche in Echtzeit zu analysieren. Selbst wenn dabei angeblich nur aggregierte oder „anonymisierte“ Stimmungswerte dargestellt werden, bleibt die potenzielle Kontrolle zentral. Sobald das System den Arbeitgeber in die Lage versetzt, Verhalten oder Leistung einzelner Gruppen oder Personen zu beobachten, muss darüber mit dem Betriebsrat verhandelt werden.
Bild: Menschliche Hand und Roboterhand stehen symbolisch für die enge Verzahnung von Mensch und Künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz.
- Videoüberwachung und Emotionserkennung: Kameraüberwachung mit integrierter KI zur Erkennung von Emotionen, Gestik oder Gesichtsausdrücken ist ein besonders extremes Beispiel. Schon die einfache Videoüberwachung am Arbeitsplatz unterliegt üblicherweise der Mitbestimmung. KI-gesteuerte Emotionserkennung verstärkt dies: Nach dem EU-KI-Verordnungsentwurf (KI-VO) ist der Einsatz von Systemen zur Emotionserkennung am Arbeitsplatz grundsätzlich verboten. Vor Einführung eines Kamerasystems mit „Emotional AI“ gilt also höchste Vorsicht: Der Betriebsrat hat hier neben dem Mitbestimmungsrecht auch auf datenschutzrechtliche Verbote hinzuweisen. Auch andere fortgeschrittene KI-Tools – etwa Systeme, die per Kamera Mimik oder Augenbewegungen auswerten – wären von § 87 Abs. 1 Nr. 6 erfasst, da sie Informationen über das individuelle Verhalten der Beschäftigten liefern.
- Predictive Performance Management: Einige KI-Systeme erstellen Ranglisten oder Prognosen („Predictive Analytics“) anhand von Leistungskennzahlen. Wenn solche Dashboards etwa „Top-Performer“ identifizieren oder zukünftige Fehlleistungen prognostizieren, werden Daten über Einzelne ausgewertet. Sobald ein KI-Tool das Verhalten und die Leistung konkret und individuell erfassbar macht, ist der Betriebsrat einzubeziehen.
Folgen bei Missachtung des Mitbestimmungsrechts
Wird der Betriebsrat bei einem mitbestimmungspflichtigen KI-Einsatz nicht beteiligt, hat das erhebliche Folgen. Nach der sogenannten Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung sind alle einseitig eingeführten Maßnahmen unwirksam. Das heißt: Ohne Zustimmung des Betriebsrats dürfen erzwungene Kontrollsysteme (etwa Arbeitszeiterfassung oder Monitoring) nicht wirksam gegenüber den Mitarbeitern angewandt werden. Der Arbeitgeber kann sich durch Mitbestimmungsverstoß keinen Vorteil verschaffen; etwaige Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten gelten als nichtig. Kollektivrechtlich kann der Betriebsrat zudem einen Unterlassungsanspruch geltend machen, insbesondere nach § 23 Abs. 3 BetrVG oder aus dem kooperativen Gebot des § 2 Abs. 1 BetrVG. In der Praxis bedeutet dies: Wird ein KI-System ohne Betriebsratsbeteiligung eingeführt, sollte der Betriebsrat sofort ein Verbot durchsetzen und notfalls die Einigungsstelle anrufen.
Anforderungen an Betriebsvereinbarungen
Kommt es zu einer Einigung, sollten die Betriebsvereinbarungen zum KI-Einsatz klar und umfassend regeln, wie die Überwachung technisch umgesetzt wird. Insbesondere müssen sie dem Bestimmtheits- und Transparenzgebot genügen. Das heißt konkret: Zweck, Umfang und Dauer der Datenerhebung sind genau festzulegen. Beispielsweise sollten die Vereinbarung Grenzen definieren (etwa: „Erfassung nur zur Zeiterfassung, nicht zur Detail- Leistungsbewertung“), Datenarten und Speicherfristen nennen, und klar machen, welche Kontrollmaßnahmen zulässig sind. Jegliche Verarbeitung von Beschäftigtendaten muss mindestens durch einen Erlaubnistatbestand gedeckt sein – häufig ist dies § 26 Abs. 1 BDSG (Beschäftigtendatenschutz) oder § 26 Abs. 4 BDSG in Verbindung mit Art. 88 DSGVO, die eine Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage anerkennen.
Bild: Digitale Sicherheit und Datenschutz stehen im Zentrum rechtskonformer KI-Anwendungen im Betrieb.
Ferner darf der Datenschutzstandard nicht absenken: Die Vereinbarung muss garantieren, dass der Arbeitgeber technische und organisatorische Schutzmaßnahmen umsetzt (z.B. Pseudonymisierung, Zugriffskontrolle) und dass die Überwachung so gestaltet ist, dass sie verhältnismäßig bleibt. Es ist ratsam, regelmäßige Audits und Löschkonzepte zu vereinbaren. Transparenz gegenüber den Beschäftigten (etwa durch Informationspflichten) sollte integraler Bestandteil sein – denn nur ein offenes Verfahren schafft Akzeptanz und Vertrauen.
Rolle des Betriebsrats: Rechte und Handlungsmöglichkeiten
Der Betriebsrat hat vielfältige Mitwirkungsrechte bei der Einführung von KI-Systemen. Er muss rechtzeitig informiertwerden (§ 90 BetrVG) und kann Experten hinzuziehen (§ 80 Abs. 3 BetrVG), um die technischen Details zu verstehen. In der Informationsphase sollten Arbeitgeber dem Betriebsrat genau darlegen, wie das System funktioniert, welche Daten es erhebt und verarbeitet. Anschließend verhandeln beide Seiten über eine Betriebsvereinbarung (oder Änderung vorhandener Regelungen). Kann keine Einigung erzielt werden, kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen; diese schafft dann bindend Klarheit darüber, ob und wie das KI-System eingesetzt werden darf.
Praktisch kann der Betriebsrat zudem auf begleitende Maßnahmen drängen: Schulungen für Mitarbeiter, transparente Berichte über KI-Nutzung und -Ergebnisse, Einschränkungen für besonders heikle Funktionen oder die Festschreibung einer menschlichen Kontrollinstanz bei kritischen Entscheidungen. Wichtig ist, dass der Betriebsrat seine Kontrollrechte konsequent wahrnimmt: Bei Anzeichen missbräuchlicher Überwachung kann er notfalls sofortige Unterlassung verlangen, um eingriffslose Rechte der Kollegen zu wahren.
Datenschutz (DSGVO, BDSG) und KI-Verordnung
Neben dem BetrVG greifen beim KI-Einsatz im Betrieb die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und seit 2024 auch die EU-KI-Verordnung. Grundsätzlich gilt: Rechtsgrundlageund Transparenz. Nach Art. 6 DSGVO muss jede Verarbeitung von Mitarbeiterdaten eine Rechtfertigung haben (z.B. berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, § 26 Abs. 1 BDSG oder eine Betriebsvereinbarung). Beschäftigte sind nach Art. 13, 14 DSGVO umfassend über jeden Einsatz von KI-Systemen zu informieren. Bei vielen KI-Anwendungen – etwa zur Überwachung – ist wegen des hohen Risikos eine Datenschutz-Folgenabschätzung (DPIA) nach Art. 35 DSGVO Pflicht. Prinzipien wie Datenminimierung und Zweckbindung müssen beachtet werden.
Das BDSG erlaubt in § 26, Abs. 1 und 4 die Datenverarbeitung ohne Einwilligung, wenn sie für das Beschäftigungsverhältnis notwendig ist oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt wird. Eine Kollektivvereinbarung schafft daher oft den Erlaubnistatbestand für KI-Anwendungen. Hier ist das Bestimmtheitsgebot des Art. 88 DSGVO zu beachten: Zweck und Umfang müssen konkret festgelegt sein.
Schließlich sieht die EU-KI-Verordnung (seit August 2024) vor, dass der Einsatz von Hochrisiko-KI-Systemen am Arbeitsplatz besondere Pflichten auslöst. Systeme, die Leistung oder Verhalten von Mitarbeitern kontrollieren, gelten häufig als „hochriskant“. In solchen Fällen muss der Arbeitgeber den Betriebsrat vorab informieren, welche Arbeitnehmer betroffen sind und wie das System funktioniert. Nichtbeachtung dieser Pflichten kann hohe Bußgelder nach sich ziehen. Besonders relevant ist das emotionserkennende KI: Nach Artikel 5 der Verordnung ist die Nutzung von KI-Systemen zur Erfassung von Gefühlen oder Absichten am Arbeitsplatz grundsätzlich untersagt.
Fazit und Empfehlungen
Für Betriebsräte: Prüfen Sie bei jeder KI-gestützten Überwachungstechnik, ob ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG greift. Fordern Sie frühzeitig Informationen über Funktion und Datenverarbeitung an. Ziehen Sie bei Unklarheiten einen externen Sachverständigen hinzu. Verhandeln Sie eine transparente Betriebsvereinbarung, die Zweck, Umfang und Grenzen der KI-Nutzung klar regelt, inklusive Datenschutzanforderungen und Löschfristen. Nutzen Sie bei Bedarf Ihr Unterlassungsrecht, falls der Arbeitgeber die Mitbestimmung umgeht. Insgesamt bietet die Beteiligung dem Betriebsrat die Chance, die KI-Nutzung im Sinne der Beschäftigten zu gestalten und Misstrauen vorzubeugen.
Für Arbeitgeber: Informieren und beteiligen Sie den Betriebsrat rechtzeitig. Berücksichtigen Sie die Vorgaben des BetrVG, der DSGVO/BDSG und der KI-Verordnung. Führen Sie vorab eine Risikoanalyse (DPIA) durch und setzen Sie transparente technische und organisatorische Maßnahmen um. Schließen Sie bei mitbestimmungspflichtigen Systemen eine Betriebsvereinbarung ab, die den Arbeitnehmern klare Regeln bietet. Auf diese Weise gewinnen Sie nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Akzeptanz bei den Mitarbeitern – und vermeiden teure Rechtsstreitigkeiten wegen unterlassener Mitbestimmung.
Quellen: Die obigen Ausführungen stützen sich auf das Betriebsverfassungsgesetz (§ 87 BetrVG) sowie einschlägige Rechtsprechung und Kommentare. Ergänzend informieren u. a. Publikationen von Fachverlagen und Datenschutzexperten über den KI-Einsatz am Arbeitsplatz.
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