Eine verhaltensbedingte oder außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist in bestimmten Fällen möglich, wenn ein Arbeitnehmer einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Pflichten begeht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 02.05.2021 – 2 AZR 596/20 weitere Klarheit geschaffen und bestimmte Fallgruppen definiert, in denen eine Abmahnung entbehrlich ist. Dieser Lexikonbeitrag wird die verschiedenen Aspekte der verhaltensbedingten oder außerordentlichen Kündigung ohne Abmahnung beleuchten.
Wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung
Die Beurteilung eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB erfolgt in zwei Stufen. Zunächst wird geprüft, ob der Pflichtenverstoß an sich einen ausreichenden wichtigen Grund darstellen kann. Das BAG stellte in dem genannten Urteil fest, dass das Verhalten des Arbeitnehmers einen „an sich“ ausreichenden wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt. In dem Fall hatte der Arbeitnehmer einen Kollegen in der Fertigung sexuell belästigt, indem er ihm die Hose und Unterhose herunterzog und seine Genitalien vor anderen Kollegen zur Schau stellte. Dies stellte eine schwerwiegende Verletzung des Benachteiligungsverbots gemäß § 7 Abs. 3 AGG dar. Das Gericht betonte, dass sexuelle Belästigung auch dann vorliegen kann, wenn keine direkte Berührung stattfindet, sondern das Recht auf Selbstbestimmung und Privatsphäre einer Person missachtet wird. Somit wurde die außerordentliche fristlose Kündigung als gerechtfertigt angesehen.
Bewertung als wichtiger Grund im Einzelfall
In der zweiten Stufe erfolgt eine umfassende Interessenabwägung, um zu beurteilen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers im konkreten Einzelfall einen wichtigen Grund darstellt. Dabei wird unter anderem geprüft, ob eine mildere Reaktion des Arbeitgebers, wie eine Abmahnung oder eine ordentliche fristgerechte Kündigung, zumutbar gewesen wäre. Sowohl bei einer ordentlichen als auch bei einer außerordentlichen Kündigung aufgrund vertraglicher Pflichtverletzungen wird in der Regel eine Abmahnung vorausgesetzt.
Entbehrlichkeit einer Abmahnung
Die Entbehrlichkeit einer Abmahnung richtet sich nach dem Prognoseprinzip. Eine (verhaltensbedingte) Kündigung soll nicht vergangenes Verhalten sanktionieren, sondern zukünftige Vertragsverstöße verhindern. Eine Abmahnung dient der objektiven Feststellung, dass der Arbeitnehmer die Kündigungsrelevanz seines Verhaltens erkennt. Falls der Arbeitnehmer trotz einer Abmahnung erneut gegen seine Pflichten verstößt, ist ihm bewusst, dass sein Verhalten eine Kündigung rechtfertigt. Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen eine Abmahnung entbehrlich ist:
- Wenn von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist. b) Wenn die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst die erstmalige Hinnahme für den Arbeitgeber objektiv unzumutbar und für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist.
- Neue Kriterien für die Bewertung Das BAG hat in seinem Urteil Kriterien für die Bewertung einer so schwerwiegenden Pflichtverletzung genannt, dass eine erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber objektiv unzumutbar ist. Diese Kriterien umfassen:
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