Bekomme ich Geld, wenn mein Arbeitgeber insolvent ist?

Die Insolvenz eines Arbeitgebers löst bei vielen Beschäftigten Sorgen aus. In dieser Übersicht erfahren Sie, was eine Insolvenz überhaupt bedeutet, welche Ansprüche Arbeitnehmer:innen haben und wie Sie in einer solchen Situation vorgehen können. Dabei werden die wichtigsten Begriffe und Abläufe des deutschen Insolvenz- und Arbeitsrechts (Stand 2025) verständlich erklärt – vom Insolvenzgeld der Bundesagentur über offene Lohn- und Urlaubsansprüche bis hin zur Rangfolge der Gläubigerforderungen. Ziel ist es, Arbeitnehmer:innen Klarheit und Handlungsfähigkeit in einer schwierigen Lage zu geben.

Was bedeutet die Insolvenz des Arbeitgebers?

Eine Insolvenz liegt vor, wenn der Arbeitgeber seine Zahlungs­pflichten nicht mehr erfüllen kann. Rechtlich gilt ein Unternehmen als insolvent, sobald das zuständige Gericht ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein Insolvenzantrag wegen fehlender Masse abgewiesen wird. In der Praxis bedeutet das oft: Ein Chef kann keine Rechnungen mehr bezahlen, und Mitarbeiter:innen erhalten keinen Lohn. Der Betriebs­fortbestand ist in diesem Moment unsicher. Wichtig ist: Die Eröffnung des Verfahrens muss von einem Insolvenzgericht beschlossen werden. Gibt die Firma selbst keinen Antrag ab, kann die Agentur für Arbeit ein „Insolvenzereignis“ feststellen, etwa wenn klar wird, dass offene Schulden nicht beglichen werden können. Ab diesem Zeitpunkt spricht man oft von einer Insolvenzeröffnung – und damit beginnt der besondere Insolvenz­schutz für Arbeitnehmer:innen. Der Arbeitsvertrag bleibt grundsätzlich bestehen und wird vom Insolvenzverwalter übernommen.

Ihr Anspruch auf Insolvenzgeld

Falls Sie infolge der Insolvenz keinen Lohn mehr bekommen, springt die Bundesagentur für Arbeit mit dem Insolvenzgeld ein: Dabei handelt es sich um eine einmalige Ersatzleistung für entgangenen Lohn. Arbeitnehmer:innen erhalten Insolvenzgeld rückwirkend für maximal drei Monate vor Eröffnung des Verfahrens. Entscheidend ist, dass das entgangene Nettogehalt ersetzt wird. Das heißt: Arbeitgeberzuschläge wie Überstundenvergütung, Weihnachts- oder Urlaubsgeld können unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls mit einbezogen werden. Für Besserverdienende gelten jedoch Obergrenzen. Praktisch erhalten Sie also den Lohn netto, den Sie in den letzten drei Monaten vor der Insolvenzeröffnung nicht ausgezahlt bekommen haben. Diese Leistung ist steuerfrei.

Der Antrag auf Insolvenzgeld muss frühestens mit Eröffnung des Verfahrens und spätestens zwei Monate danach bei Ihrer Agentur für Arbeit eingehen. Sammeln Sie dafür Nachweise wie Arbeitsvertrag, Gehaltsabrechnungen, Kündigungsschreiben und möglichst eine Bescheinigung des Insolvenz­verwalters. Für Familienmitglieder und geschäftsführende Gesellschafter gelten Sonderregelungen (Statusfeststellungsverfahren). Bei Anspruchstellung gehen Ihre Lohnforderungen für die betreffenden drei Monate auf die Agentur über – Sie bekommt danach das rückständige Netto-Arbeitsentgelt ausgezahlt. Falls Ihr Arbeitgeber für diese Zeit keine Sozial­versicherungsbeiträge entrichtet hat, übernimmt die Arbeitsagentur auch diese Zahlungen.

Offene Lohn-, Gehalts- und Urlaubsansprüche anmelden

Alle übrigen Lohn- und Gehaltsansprüche, die durch Insolvenz nicht gedeckt sind, müssen Sie als Gläubiger anmelden. Dazu zählen zum Beispiel Lohnzahlungen aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung oder sonstige ausstehende Gehaltsbestandteile. Diese Forderungen melden Sie innerhalb der gesetzten Frist bei dem Insolvenzverwalter – formal heißt das „Anmeldung zur Insolvenztabelle“. Hierzu gehört auch nicht ausgezahltes Urlaubsgeld oder die Abgeltung nicht genommenen Urlaubs. (Urlaubsansprüche gelten grundsätzlich als Teil des Arbeitsentgelts.) Wie das Merkblatt der Gerichte erklärt, kann Rückstandslöhne, „für die kein Insolvenzgeld beansprucht werden kann“, beim Insolvenzverwalter angemeldet werden.

In der Praxis bedeutet das: Sammeln Sie Ihre letzten Lohnabrechnungen, listen Sie alle offenen Beträge (inklusive Prämien oder Sonderzahlungen) auf und reichen Sie eine Forderungsanmeldung ein. Häufig erhalten Arbeitnehmer:innen dazu ein Formular mit dem Eröffnungsbeschluss. Falls nicht, kann oft das zuständige Insolvenzgericht oder der Verwalter Auskünfte geben. Gemäß Rechtslage werden diese Forderungen dann pro rata (also anteilig) aus der Insolvenzmasse bedient. Das heißt: Am Ende Ihres Verfahrens bekommen Sie voraussichtlich nur einen Bruchteil Ihres ursprünglich offenen Lohns (je nach Restvermögen der Firma). Trotzdem ist eine Anmeldung unbedingt nötig, um im Insolvenzverfahren überhaupt berücksichtigt zu werden.

Anspruch auf Abfindung?

Ein Abfindungsanspruch besteht im Insolvenzfall nicht automatisch. Das Arbeitsrecht kennt in der Regel keine Pflicht, bei Kündigung eine Abfindung zu zahlen – erst recht nicht als Reaktion auf die Insolvenz. Wie ein Fachanwalt erläutert: „Auf eine Abfindung besteht regelmäßig kein Anspruch“. Nur wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag, im Sozialplan oder durch Verhandlung ausdrücklich eine Abfindung vereinbart wurde, kann es eine Zahlung geben. In der Insolvenz versuchen Arbeitgeber mitunter, Kündigungen mit Abfindungsangeboten zu verbinden, um Gerichtsprozesse zu vermeiden. Ohne Vereinbarung sollten Sie nicht damit rechnen, dass Ihnen automatisch Geld als Abfindung zusteht. Beachten Sie allerdings, dass der Kündigungsschutz grundsätzlich auch in der Insolvenz weiter gilt – er bietet Mitarbeitern einen Verhandlungsspielraum, bevor gekündigt wird.

Reihenfolge der Forderungen im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzverfahren gilt eine strenge Rangfolge der Gläubiger. Für Arbeitnehmer:innen ist dabei entscheidend:

  • Masseverbindlichkeiten: Alle Lohn- und Gehaltsansprüche nach der Eröffnung gelten als Masseforderungen und müssen vorrangig bezahlt werden. Das sind laufende Gehälter oder Zulagen, die erst nach Insolvenzeröffnung fällig wurden. Diese Ansprüche werden aus der Insolvenzmasse zuerst beglichen – allerdings nur, solange ausreichend Geld da ist. Meldet der Verwalter einen Masseengpass, können selbst diese Forderungen nicht vollständig bedient werden.
  • Einfache Insolvenzforderungen: Sämtliche Lohnansprüche vor der Eröffnung (abzüglich der abgedeckten drei Monate) zählen zu den allgemeinen Insolvenzforderungen. Sie gehören zur Insolvenztabelle und werden erst nach Abschluss des Verfahrens in der Höhe der errechneten Insolvenzquote ausgezahlt. Das betrifft etwa Gehälter oder Prämien aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung, Urlaubsabgeltung und andere offene Ansprüche. In der Praxis bedeutet das, dass von diesen Forderungen meist nur eine geringe Restzahlung erfolgt.
  • Nachrangige Forderungen: Ganz am Ende stehen nachrangige Insolvenzforderungen. Dazu gehören etwa Verzugszinsen auf Lohnforderungen oder Strafzahlungen. Diese werden in der Regel erst bedient, wenn alle übrigen Gläubiger ihre Quote erhalten haben. Für Arbeitnehmer:innen sind nachrangige Forderungen meistens weniger relevant, da der Hauptanspruch der Lohnzahlung (einfache Forderung) bereits berücksichtigt wird.

Diese Rangordnung zeigt: Arbeitnehmerforderungen werden privilegiert behandelt, verglichen mit vielen anderen Schulden. Trotzdem ist entscheidend, dass Sie Ihre Ansprüche (vor allem ausstehende Löhne oder Urlaubsansprüche) rechtzeitig anmelden. Dann können Sie zumindest die Insolvenzquote dafür beanspruchen.

Masseverbindlichkeiten und nachrangige Forderungen

Für die Praxis sind die Begriffe Masseverbindlichkeiten und nachrangige Forderungen oft verwirrend. Kurz gefasst heißt es: Masseverbindlichkeiten sind alle Kosten, die durch den weiteren Geschäftsbetrieb nach Insolvenzeröffnung entstehen (z.B. weitere Löhne, Betriebskosten, Gerichtskosten). Diese haben Vorrang und werden als erstes aus dem verbliebenen Firmenvermögen bezahlt. Zu den Masseverbindlichkeiten zählt daher auch das fortlaufende Arbeitsentgelt, das nach Eröffnung gezahlt werden muss.

Nachrangige Forderungen dagegen werden ganz am Schluss bedient. Das können zum Beispiel Verzugszinsen auf Lohnforderungen oder Sozialstrafzahlungen sein. Sie haben nur dann Aussicht auf Befriedigung, wenn nach allen anderen Gläubigern noch Mittel übrig sind. Für Arbeitnehmer:innen bedeutet das praktisch, dass Ihre normalen Gehaltsforderungen nicht nachrangig sind – sie sind entweder einfache oder Masseforderungen. Nur Zinserträge oder dergl. wären nachrangig.

Was sollten Arbeitnehmer jetzt tun?

In der schwierigen Lage einer Arbeitgeberinsolvenz sollten Sie aktiv werden. Folgende Schritte helfen, Ihre finanzielle Lage zu sichern:

  • Antrag auf Insolvenzgeld stellen: Reichen Sie innerhalb von 2 Monaten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit ein. Nutzen Sie dafür idealerweise das Online-Formular. Fügen Sie alle Belege bei (Insolvenz­bescheinigung, Vertrag, Abrechnungen, Kündigung). Das Insolvenzgeld deckt Ihre Lohnrückstände der letzten drei Monate.
  • Lohnforderungen anmelden: Schreiben Sie alle weiteren offenen Forderungen (z.B. ausstehendes Gehalt, Urlaubsgeld, Bonus) zusammen. Melden Sie diese Forderungen formell beim Insolvenzverwalter an (Insolvenztabelle). Dabei helfen Ihnen Ihre Gehaltsabrechnungen und der Arbeitsvertrag. Eine Anmeldung ist notwendig, um an der Insolvenzquote teilzuhaben.
  • Urlaubsanspruch geltend machen: Prüfen Sie Ihren Urlaubsstand. Nicht genommenen Urlaub können Sie nach Ende des Arbeitsverhältnisses als Abgeltung verlangen. Diese Urlaubsabgeltung müssen Sie ebenfalls beim Insolvenzverwalter anmelden. (Nach aktueller Rechtsprechung kann auch sie – je nach Fall – als Masseverbindlichkeit gelten.)
  • Sozialversicherung klären: Stellen Sie sicher, dass Ihre Sozial­versicherung weiterläuft. Normalerweise zahlt die Bundesagentur während der Insolvenz die rückständigen Beiträge der letzten drei Monate. Informieren Sie dafür Ihre Krankenkasse über die Insolvenz, damit sie sich die Beträge von der Arbeitsagentur erstatten lässt.
  • Beratung suchen: Scheuen Sie sich nicht, rechtlichen Rat einzuholen. Gewerkschaften und Fachanwälte für Arbeitsrecht können helfen, Forderungen zu prüfen oder Ansprüche geltend zu machen. Auch die Agentur für Arbeit berät bezüglich Insolvenzgeld. In komplexen Fällen kann ein Anwalt erklären, ob eine Klage oder eine Forderung anzumelden ist.
  • Weitermeldung bei Arbeitsagentur: Wenn Sie nach Kündigung arbeitslos sind, melden Sie sich sofort bei der Agentur für Arbeit. Insolvenzgeld wird gegebenenfalls auf Arbeitslosengeld angerechnet, mindert Ihre Leistungsdauer aber nicht. So entstehen keine Versorgungslücken.

Auch wenn die Situation beängstigend ist: Ein strukturiertes Vorgehen kann viel helfen. Gehen Sie schrittweise vor, halten Sie Fristen ein und dokumentieren Sie alle Ansprüche. So können Sie aus der Krise das beste Ergebnis erzielen.


Quellen: Deutsche Arbeitsagentur, Insolvenzordnung und Rechtsprechung sowie Fachliteratur zum Arbeits- und Insolvenzrecht. Die Hinweise geben den Rechtsstand 2025 wieder und dienen der Information von Arbeitnehmer:innen.