Freie Zeit bedeutet eigentlich abschalten und erholen – doch was, wenn der Arbeitgeber plötzlich per SMS etwas Wichtiges mitteilt? Immer mehr Beschäftigte fragen sich, ob sie außerhalb der Arbeitszeit dienstliche Nachrichten lesen müssen. Dieses Thema hat jüngst hohe Wellen geschlagen: Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) betrifft genau diese Frage. In klarer, verständlicher Sprache erklären wir, was hinter dem „Recht auf Unerreichbarkeit“ steckt und wann Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz Freizeit verpflichtet sein können, auf dienstliche SMS oder E-Mails zu reagieren. Der folgende Beitrag fasst die Rechtslage leicht verständlich zusammen und gibt praktische Tipps – damit Sie wissen, was Sie in Ihrer Freizeit wirklich müssen und was nicht.
Bundesarbeitsgericht Hamburg
Kurz & Knapp:
- Keine generelle 24/7-Erreichbarkeit: Arbeitnehmer sind grundsätzlich nicht verpflichtet, rund um die Uhr dienstliche Mitteilungen zu lesen. Es gibt kein allgemeines Gesetzliches „Recht auf ständige Erreichbarkeit“ für den Arbeitgeber.
- Ausnahme – kurze Info ist zumutbar: In bestimmten Fällen kann es jedoch verlangt werden, eine kurze dienstliche SMS oder Nachricht in der Freizeit zur Kenntnis zu nehmen – etwa wenn eine interne Regelung (Betriebsvereinbarung) kurzfristige Dienstplanänderungen vorsieht.
- Aktuelles BAG-Urteil 2023: Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass das Lesen einer kurzen SMS über eine Schichteinteilung am freien Tag zumutbar und keine Arbeitszeit Eine minimale Info stört die Ruhezeit nicht.
- Keine Dauerbereitschaft: Das Urteil bedeutet nicht, dass Beschäftigte ständig erreichbar sein müssen. Längere oder komplexe Weisungen in der Freizeit bleiben kritisch – hier ist noch unklar, wo die Grenze liegt.
- Risiko bei Ignorieren wichtiger Nachrichten: Wer berechtigte Anweisungen (z.B. Schichtbeginn) in der Freizeit komplett ignoriert, riskiert Abmahnung oder Gehaltseinbußen. Daher: interne Regeln kennen, bei Bedarf nachfragen und wichtige Mitteilungen rechtzeitig checken.
Muss ich in meiner Freizeit dienstliche SMS oder E-Mails lesen?
Grundsätzlich gilt: In Ihrer Freizeit sind Sie nicht verpflichtet, ständig für den Arbeitgeber verfügbar zu sein. Arbeitsfreie Zeit gehört Ihnen, und es besteht kein allgemeiner Zwang, dienstliche SMS, E-Mails oder Anrufe außerhalb der Arbeitszeit zu verfolgen. Es gibt kein Gesetz, das Arbeitnehmer zur ständigen Erreichbarkeit verpflichtet. Aber: Von jeder Regel gibt es Ausnahmen. Wenn Ihr Arbeitgeber z.B. per Betriebsvereinbarung festgelegt hat, dass kurzfristige Änderungen im Dienstplan per SMS mitgeteilt werden, kann von Ihnen verlangt werden, diese Mitteilungen in einem gewissen Rahmen zu lesen. Entscheidend ist der Inhalt und der Rahmen: Geht es nur um eine kurze Information, die für den nächsten Arbeitseinsatz nötig ist, kann das Lesen auch am freien Tag zumutbar sein.
Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben morgen eine Arbeitsschicht, deren genaue Uhrzeit aber noch offen ist. Ihr Betrieb hat geregelt, dass solche Schichten bis zum Vorabend konkretisiert werden dürfen. Bekommt man nun abends eine SMS „Morgen Schichtbeginn 6:00 Uhr in Filiale X“, dann erwartet der Arbeitgeber, dass man dies liest – auch wenn man eigentlich frei hatte. Das dient dazu, den Betriebsablauf sicherzustellen. Längere Mails oder spontane Aufgaben ohne vorherige Absprache fallen dagegen nicht automatisch unter diese Pflicht. Als Faustregel kann man sagen: Je kürzer und dringender die Information, desto eher muss man sie auch in der Freizeit zur Kenntnis nehmen.
Gibt es ein „Recht auf Unerreichbarkeit“?
Die Idee eines „Rechts auf Unerreichbarkeit“ geistert seit einigen Jahren durch die Medien. Gemeint ist das Recht der Beschäftigten, in ihrer Freizeit keine beruflichen Kontakte oder Aufgaben annehmen zu müssen. In Deutschland gibt es dafür derzeit keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Weder das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) noch andere Gesetze enthalten einen Paragraphen, der ausdrücklich ein Recht auf komplette Nichterreichbarkeit garantiert.
Allerdings schützt das Gesetz Ihre Freizeit indirekt: Das Arbeitszeitgesetz schreibt eine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden nach Ende der täglichen Arbeitszeit vor (§ 5 ArbZG). In dieser Zeit sollen Arbeitnehmer nicht arbeiten müssen. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird herangezogen – es umfasst das Privatrecht, selbst zu entscheiden, wann man erreichbar ist. Tatsächlich haben einige Gerichte in der Vergangenheit die Freizeit stark geschützt. So urteilte zum Beispiel ein Landesarbeitsgericht (LAG), dass jede dienstliche Nachricht in der Freizeit als Arbeitszeit anzusehen sei und dass es zu den Persönlichkeitsrechten zählt, selbst zu bestimmen, für wen man in seiner freien Zeit erreichbar ist. Dieses Gericht stellte sich also klar auf den Standpunkt, dass Arbeitnehmer ein gewisses Recht auf Nicht-Erreichbarkeit haben.
Dennoch: Ohne ein konkretes Gesetz hängt viel vom Einzelfall ab. Viele Unternehmen – vor allem größere Konzerne – haben inzwischen freiwillige Richtlinien eingeführt, die den Beschäftigten das Abschalten ermöglichen (z.B. keine E-Mails nach Feierabend). Auf europäischer Ebene wird ebenfalls diskutiert, ein Recht auf Nichterreichbarkeit einzuführen. Bis das geschieht, bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen den Interessen des Arbeitgebers (betriebliche Flexibilität) und den Schutzinteressen der Arbeitnehmer(Erholung, Gesundheit).
Was hat das Bundesarbeitsgericht 2023 entschieden?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat im August 2023 ein wichtiges Urteil gefällt, das für großes Aufsehen sorgte. Darin ging es genau um die Frage: Kann ein Arbeitnehmer verpflichtet sein, eine dienstliche SMS in seiner Freizeit zu lesen? Das oberste deutsche Arbeitsgericht sagte: Ja, unter bestimmten Voraussetzungen schon.
Beispiel-Fall: Rettungssanitäter und die SMS am freien Tag
Um die Entscheidung zu verstehen, hilft ein Blick auf den Fall: Ein Notfallsanitäter aus Schleswig-Holstein hatte einen Tag frei, war aber laut Dienstplan als Springer für den nächsten Tag vorgesehen. Das heißt, er wusste, dass er am Folgetag arbeiten muss, nur noch nicht genau wann und wo. Im Betrieb gab es eine Betriebsvereinbarung, wonach solche Springer-Schichten bis spätestens 20:00 Uhr am Vorabend konkretisiert werden dürfen. Genau das passierte: Der Arbeitgeber trug am Vortag um 13:20 Uhr im Online-Dienstplan ein, dass der Sanitäter am nächsten Tag ab 6:00 Uhr Frühschicht hat, und versuchte ihn anzurufen. Als der Anruf ihn nicht erreichte, schickte der Arbeitgeber um 13:27 Uhr zusätzlich eine SMS mit der Schicht-Info.
Der Sanitäter las diese SMS jedoch nicht mehr am gleichen Tag. Erst am nächsten Morgen gegen 7:30 Uhr – eigentlich wäre seine Schicht da schon längst im Gange gewesen – meldete er sich dienstbereit. Zu spät: Ein Kollege aus der Rufbereitschaft war bereits für ihn eingesprungen. Die Arbeitgeberin bewertete das als unentschuldigtes Fehlen und zog dem Mitarbeiter elf Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab. Außerdem erhielt er eine Abmahnung. Der Sanitäter fühlte sich im Recht und klagte: Er argumentierte, in seiner Freizeit müsse er keine dienstlichen Nachrichten lesen, zumal er keine Rufbereitschaft gehabt und auch kein Diensthandy besessen habe.
Entscheidung des BAG: Kurz nachschauen ist zumutbar
Das Arbeitsgericht in erster Instanz und später das Landesarbeitsgericht gaben dem Arbeitnehmer zunächst Recht und hoben die Abmahnung auf. Doch in letzter Instanz entschied das BAG arbeitgeberfreundlich: Der Sanitäter hätte die SMS trotz Freizeit zur Kenntnis nehmen müssen. Das BAG stellte klar, dass hier besondere Umstände vorlagen: Durch die Betriebsvereinbarung wusste der Arbeitnehmer genau, dass bis 20 Uhr Änderungen im Plan möglich sind. Es gehörte damit zu seinen Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis (Stichwort: Mitwirkungspflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB), spätestens ab dem Vorabend aktiv zu prüfen, ob es eine neue Arbeitsanweisung gibt. Er hätte also am freien Tag am Nachmittag oder Abend einmal den Dienstplan einsehen oder sein Handy auf Nachrichten kontrollieren müssen. Diese Pflicht dient laut BAG der betrieblichen Funktionsfähigkeit – der Arbeitgeber muss Schichten besetzen können, und der Arbeitnehmer muss dabei kooperieren, soweit zumutbar.
Zählt das Lesen einer dienstlichen Nachricht als Arbeitszeit?
Eine wichtige Frage dabei: Ist das Lesen einer SMS oder E-Mail eigentlich schon „Arbeit“ im Sinne des Gesetzes? Denn wenn ja, würde es die Ruhezeit unterbrechen und evtl. Überstunden auslösen. Hier hat das Bundesarbeitsgericht deutlich geantwortet: Das kurze Lesen einer dienstlichen SMS zählt nicht als Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne. Die Begründung: Der Eingriff in die Freizeit sei minimal, zeitlich so geringfügig, dass die Erholung nicht wirklich beeinträchtigt wird. Mit anderen Worten, eine 30-sekündige Info am Handy macht Ihre Pause nicht kaputt – jedenfalls nicht rechtlich.
Zur Einordnung: Das Arbeitszeitgesetz verlangt 11 Stunden Ruhezeit. Würde man jede kurze dienstliche Mitteilung als Arbeitszeit werten, wäre diese Ruhezeit sofort unterbrochen und der Arbeitgeber dürfte eigentlich keine Kontaktaufnahme zulassen. Das BAG hat hier eine praktikable Grenze gezogen: Kleine Unterbrechungen wie das Lesen einer 160-Zeichen-SMS sind erlaubt, ohne die Ruhezeit zu zerstören. Man kann es vergleichen mit einem kurzen Blick auf den Dienstplan im Intranet – auch das ist keine vollwertige Arbeitsaufnahme, sondern nur eine minimale Vorbereitung.
Achtung: Das bedeutet aber nicht, dass jede Tätigkeit während der Freizeit keine Arbeitszeit wäre. Sobald eine Unterbrechung erheblich wird – zum Beispiel, weil Sie auf eine E-Mail ausführlich antworten oder gar arbeiten müssen – kann das durchaus Arbeitszeit darstellen. Hier kommen auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ins Spiel: Der EuGH hat entschieden, dass Bereitschaftszeiten zu Hause als Arbeitszeit gelten können, wenn sie die Freizeit stark einschränken (z.B. ständige Alarmbereitschaft mit sofortigem Einsatz). Der Unterschied: Im BAG-Fall gab es keine ständige Bereitschaft, sondern nur die Verpflichtung, einmal bis zum Abend nachzuschauen. Das galt als so gering, dass es nicht als Arbeitsleistung gewertet wurde.
Was passiert, wenn ich eine wichtige Nachricht vom Chef ignoriere?
Verpasst man eine wirklich wichtige dienstliche Mitteilung, kann das unangenehme Folgen haben. Im geschilderten Fall bewertete der Arbeitgeber das Nicht-Reagieren auf die SMS als Pflichtverletzung – mit Abmahnung und Abzug von Stunden (sprich: weniger Gehalt). Wenn eine vergleichbare Pflicht besteht und bekannt war, dürfen Arbeitgeber Konsequenzen ziehen, wenn man ohne Entschuldigung nicht reagiert. Eine Abmahnung ist dabei das wahrscheinlichste Mittel: Sie warnt den Arbeitnehmer offiziell, dass er gegen seine Pflichten verstoßen hat, und dient als Hinweis, dass beim nächsten Mal härtere Konsequenzen drohen könnten. Im Extremfall könnte ein wiederholtes Ignorieren wichtiger Anweisungen sogar eine Kündigung nach sich ziehen – gerade wenn der Betrieb durch das Fehlverhalten erheblich gestört wird.
Allerdings hängen Sanktionen immer vom Einzelfall ab. War keine klare Regel vereinbart, dürfte es schwierig für den Arbeitgeber sein, eine Strafe zu rechtfertigen. Beispiel: Ihr Chef schickt Ihnen spontan am Sonntagabend eine SMS, dass Sie am Montag doch bitte ein Meeting vorbereiten sollen. Wenn das nicht ausdrücklich vereinbart oder üblich ist, ist es fraglich, ob man Ihnen einen Vorwurf machen kann, falls Sie die SMS erst Montag früh lesen. Wichtig ist also, ob man von der Möglichkeit einer solchen Anweisung wusste oder wissen musste.
Für Arbeitnehmer heißt das: Kennen Sie die internen Regeln! Wenn es in Ihrem Betrieb Gepflogenheiten oder Vereinbarungen gibt (z.B. Schichtpläne über Intranet, Bereitschaftsdienste, SMS-Verteiler für Notfälle), sollten Sie diese ernst nehmen. Wer unsicher ist, sollte proaktiv beim Vorgesetzten oder Betriebsrat nachfragen, was im Ernstfall erwartet wird. Lieber einmal mehr klären, als eine Abmahnung riskieren.
Gelten diese Pflichten auch für lange Nachrichten, komplexe Aufgaben oder im Urlaub?
Das BAG-Urteil bezieht sich ausdrücklich auf eine kurze SMS mit einer Schichtzuweisung. Offen bleibt, wie weit die Pflicht zur Kenntnisnahme in der Freizeit geht, wenn es um umfangreichere Inhalte geht. Müssen Arbeitnehmer auch eine dienstliche E-Mail mit mehreren Absätzen oder gar Anhängen in ihrer Freizeit lesen und darauf reagieren? Hier ist Vorsicht geboten: Das Gericht hat betont, dass eine SMS sehr wenig Zeit beansprucht. Bei längeren Weisungen könnte die Bewertung anders ausfallen. Eine E-Mail, die vielleicht mehrere Minuten Lesezeit erfordert oder Handlungen nach sich zieht, könnte durchaus als Arbeitszeit gelten – oder zumindest als so einschneidend, dass sie in der Ruhezeit nichts verloren hat. Diese Frage ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden. Arbeitgeber sollten daher nicht automatisch annehmen, dass nun jegliche Kommunikation nach Feierabend legitim ist.
Urlaub und Krankheit sind wiederum Sonderfälle: Befindet sich ein Arbeitnehmer im Urlaub, hat er einen gesetzlichen Anspruch, wirklich nicht zu arbeiten (§ 1 BUrlG – Zweck des Urlaubs ist die Erholung). In der Regel darf der Arbeitgeber den Urlauber nicht mit Arbeit oder ständigen Anrufen behelligen, außer es handelt sich um einen absoluten Notfall im Betrieb. Ebenso bei krankgeschriebenen Mitarbeitern: Wer krank ist, muss nicht erreichbar sein, da er ja gerade nicht arbeiten soll. Hier würde das Pendel klar zugunsten des Arbeitnehmers ausschlagen – es sei denn, man hat auch für solche Fälle vertragliche Rufbereitschaften vereinbart (was unüblich wäre).
Zusammengefasst: Pflichten zur Erreichbarkeit in der Freizeit beschränken sich auf das Nötigste. Alles, was darüber hinausgeht – lange Nachrichten, ausführliche Arbeitsaufträge oder Störungen im Urlaub – bewegt sich in einem rechtlichen Graubereich oder ist schlicht unzulässig. Im Zweifel gilt: Die Freizeit ist frei – und der Arbeitgeber muss gute Gründe haben, sie zu unterbrechen.
Wie können Betriebsräte und Arbeitnehmer mit dem Thema Erreichbarkeit umgehen?
Für Betriebsräte und Beschäftigte ist das Thema „Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit“ ein wichtiges Feld, um gute Arbeitsbedingungen zu sichern. Hier ein paar Praxis-Tipps, wie man damit umgehen kann:
- Klare Regelungen schaffen: Ein Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der Arbeitszeit und Ordnung des Betriebs. Es ist sinnvoll, in einer Betriebsvereinbarung festzulegen, wann und wieArbeitnehmer erreichbar sein müssen – und wann nicht. So eine Vereinbarung könnte z.B. regeln, dass Dienstplanänderungen nur bis zu einer bestimmten Uhrzeit erfolgen dürfen (wie im BAG-Fall bis 20 Uhr) und auf welchem Weg sie mitgeteilt werden (z.B. via Diensthandy, SMS, Anruf). Auch Notfällesollten definiert sein. Für Beschäftigte schafft das Transparenz: jeder weiß, woran er ist.
- Keine ständige Überwachung: Betriebsräte sollten darauf achten, dass keine Kultur der ständigen Verfügbarkeit Regelungen zur Erreichbarkeit sollten immer das Prinzip der Zumutbarkeitberücksichtigen. Ein kurzer Check des Dienstplans am Abend mag ok sein, aber niemand sollte verpflichtet sein, permanent aufs Smartphone zu starren.
- Schulung und Aufklärung: Arbeitnehmer*innen sollten über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Viele Irrtümer kursieren, z.B. „Man muss immer sofort antworten, sonst gibt’s Ärger“. Solche Fehleinschätzungen können Stress verursachen. Durch Aufklärung – etwa in Mitarbeiterversammlungen oder Rundschreiben – kann der Betriebsrat hier entgegenwirken.
- Grenzen respektieren: Auch Arbeitnehmer selbst können etwas tun: kommunizieren Sie Ihre Grenzen.Wer nach einem anstrengenden Arbeitstag beispielsweise den Feierabend ohne ständige Handy-Präsenz verbringen möchte, kann das im Team oder mit dem Vorgesetzten offen besprechen. Oft lassen sich verständnisvolle Lösungen finden, z.B. dass bei wirklich dringenden Fällen telefonisch nachgehakt wird, während weniger Dringendes bis zum nächsten Arbeitstag warten kann.
- Im Konfliktfall Unterstützung suchen: Sollte es zu Streitigkeiten kommen (z.B. Abmahnung wegen verpasster Nachricht), sollten Arbeitnehmer den Betriebsrat einschalten und ggf. rechtlichen Rat einholen. Arbeitsgerichte entscheiden immer im Einzelfall – und ein Betriebsrat kann vorab helfen, solche Fälle gar nicht erst eskalieren zu lassen.
Was sollten Arbeitgeber und Führungskräfte beachten?
Auch für Arbeitgeber, Vorgesetzte und HR-Verantwortliche ist die Erreichbarkeit ein zweischneidiges Schwert. Einerseits braucht der Betrieb Flexibilität – andererseits haben Mitarbeiter Rechte. Nach dem aktuellen BAG-Urteil haben Arbeitgeber zwar mehr Spielraum, Anweisungen auch mal in die Freizeit hinein zu geben, aber es gibt klare Spielregeln:
- Interne Regeln schriftlich festhalten: Arbeitgeber sollten klare Richtlinien oder Betriebsvereinbarungen für Erreichbarkeit und Dienstplanänderungen schaffen. Darin ist festgelegt, in welchen Fällen und bis zu welchem Zeitpunkt vor dem nächsten Dienst Änderungen mitgeteilt werden. Wichtig: Diese Regeln müssen transparent kommuniziert werden, damit jeder Mitarbeiter weiß, was erwartet wird.
- Rechtssichere Zustellung: Wenn es darauf ankommt, dass eine Nachricht ankommt, sollte der Zustellweg nachvollziehbar sein. Zum Beispiel kann ein elektronisches System mit Lesebestätigunggenutzt werden, oder man stellt Diensthandys zur Verfügung. Im obigen Fall argumentierte der Kläger, der Arbeitgeber habe nicht nachweisen können, dass die SMS ihn rechtzeitig erreicht hat. Solche Streitpunkte lassen sich vermeiden, wenn man technisch vorsorgt.
- Maß und Mitte wahren: Führungskräfte sollten trotz aller Möglichkeiten die Belastungsgrenzen ihrer Mitarbeiter respektieren. Permanente Abrufbereitschaft ohne Ausgleich kann die Motivation und Gesundheit der Beschäftigten schädigen. Auch wenn das BAG kurze Info-Pflichten erlaubt hat, heißt das nicht, dass man jetzt ständig Nachrichten schicken sollte. Als Faustregel kann gelten: Nur notwendige Informationen und nur so viel wie nötig.
- Gesetzliche Vorgaben beachten: Auch wenn das Lesen einer kurzen SMS keine Arbeitszeit darstellt, bleiben Arbeitsschutzgesetze und ggf. tarifliche oder gesetzliche Regelungen zu Ruhezeiten in Kraft. Arbeitgeber dürfen die Ruhezeit nicht durch planbare Arbeitseinsätze verkürzen. Kommt es doch öfter zu spätabendlichen Anweisungen, sollte man überprüfen, ob das noch mit den Ruhezeiten vereinbar ist. Ebenso ist § 12 TzBfG (Arbeit auf Abruf) zu beachten: Haben Mitarbeiter keinen festen Stundenumfang, schreibt das Gesetz eigentlich 4 Tage Ankündigungsfrist vor – Abweichungen nur, wenn vertraglich oder per Betriebsvereinbarung anders geregelt.
- Notfälle vs. Routine unterscheiden: Im Krisenfall (z.B. Produktionsausfall, dringender Einsatz im Rettungsdienst) mag es unvermeidbar sein, jemanden auch außerhalb der Arbeitszeit zu kontaktieren. Doch was als Notfall gilt, sollte nicht überstrapaziert werden. Routine-Änderungen oder Infos sollten nach Möglichkeit innerhalb der normalen Arbeitszeit geplant werden. Das schafft Vertrauen und beugt Konflikten vor.
Fazit: Balance zwischen Freizeit und Flexibilität
Die Frage „Muss ich eine SMS der Firma in der Freizeit lesen?“ lässt sich also weder mit einem simplen Ja noch mit Nein beantworten. Grundsätzlich dürfen Arbeitnehmer ihre Freizeit genießen, ohne ständig ans Telefon gehen zu müssen. Aber: In eng begrenzten Fällen – vor allem wenn es um kurzfristige Dienstplan-Updates geht, die klar geregelt sind – darf der Arbeitgeber eine gewisse Aufmerksamkeit erwarten. Es kommt immer auf die richtige Balance zwischen Flexibilität des Betriebs und dem Erholungsbedarf der Beschäftigten an. Wichtig ist, dass beide Seiten wissen, woran sie sind: Klare Absprachen, schriftliche Vereinbarungen und gegenseitiges Verständnis sind der Schlüssel, um Konflikte zu vermeiden.
Wenn Sie unsicher sind, welche Erreichbarkeitspflichten in Ihrem Arbeitsverhältnis gelten oder wenn Sie wegen Nichterreichbarkeit eine Abmahnung erhalten haben, unterstützen wir Sie gerne. Kanzlei Pöppel Rechtsanwälte berät Arbeitnehmer:innen, Betriebsräte und Arbeitgeber bundesweit zu allen Fragen des Arbeitsrechts. Kontaktieren Sie uns unverbindlich für eine erste Einschätzung – wir helfen Ihnen, Ihre Rechte zu wahren und eine passende Lösung zu finden.
Rechtliches:
– Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2023 – Az. 5 AZR 349/22 (Pflicht zur Kenntnisnahme einer SMS in der Freizeit)
– Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022 – Az. 1 Sa 39 öD/22 (Recht auf Unerreichbarkeit in der Vorinstanz)
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